• Blick auf den Rhein am Binger Loch © VSG

  • Vor dem Eintritt ins enge Rheintal am Binger Loch: Früher wurde es hinter dem Mäuseturm gefährlich © Stadt Bingen am Rhein

Binger Loch? Der Name leitet sich von Sprengungen einer Öffnung in die Felsbarriere her, die die einst schwierigste Engstelle im Mittelrheintal schiffbar machte. Vorher war die Stelle nur mit Bitten und Beten passierbar: Ein quer verlaufendes Riff lag im Weg. Starke Strömungen lehrten das Fürchten: Noch 1831 ging das Handelsschiff „Stadt Mainz“ an der Mäuseturm-Insel unter. Das großartige, inzwischen gezähmte Naturschauspiel der durchs Gefälle brausenden Wasser, die dem gewaltigen Rhein-Haken folgen, faszinierte Scharen von Künstlern wie Christian Georg Schütz, 'den Vetter', und Clemens Brentano. In seinen „Rheinmärchen“ versetzte Brentano keinen geringeren als ‚Vater Rhein’ in die Tiefen des Binger Lochs. Der hauste romantisch in einem gläsernen Palast – regenbogenfarbig beleuchtet von zahllosen flimmernden Fischschuppen.

Referenzen:

Clemens Brentano
"Rheinmärchen"
Keiner hat die Rheinlandschaften so sehr in einen prallen mythischen Raum verwandelt, wie Clemens Brentano. Mit den 1810 bis 1812 entstandenen „Rheinmärchen“, erst nach seinem Tod veröffentlicht, stiftete er einen Kosmos und ein Stück nationaler Identität. Für das ‚Personal’ der vier miteinander verknüpften Erzählungen (zwei handeln vom Leben des ‚Müllers Radlauf’) erfand Brentano den ‚Vater Rhein’, entwickelte seine eigene Schöpfung, die "Lore Lay", als "Lureley" genealogisch weiter, ließ zahlreiche Personifikationen, Elementargeister und Menschen in Tiergestalt die Geschicke lenken. Bekannte Sagenstoffe wie die des Rattenfängers von Hameln oder lokale wie jene vom Erzbischof Hatto und dem Mäuseturm verknüpfte er zu neuer poetischer ‚Geschichte’. Bei allem tauchte er vorhandene topographische Realien in märchenhafte Fiktion. Indem er die von den Franzosen zerstörten mittelalterlichen Burgen mit neuen Ursprungssagen wiederbelebte, offenbart sich zudem ein verstecktes politisches Programm gegen ihre Fremdherrschaft.

Christian Georg Schütz, der Vetter, Vue de Bingen avec la Tour aux Souris et le Frou de Bingen, 1811, Aquatinta
© Museum am Strom, Bingen

Christian Georg Schütz, 'der Vetter'
Vue de Bingen
Das Binger Loch mit seinen Stromschnellen war schon lange ein Motiv der Kunst. Mit dem anbrechenden 19. Jahrhundert jedoch änderte sich der Blick nicht nur auf diesen Abschnitt des Rheins. Eine Mittelalterbegeisterung und die Worte des Romantik-Vordenkers Friedrich Schlegel von „kühnen Burgen auf hohen Felsen“ verknüpfte jetzt Ruinen, vergangene „Heldenzeiten“ und die Natur zu neuen Bildaussagen. In der Graphik mit der Binger Loch-Ansicht nach einer Vorlage des Frankfurter Malers Christian Georg Schütz dem Vetter von 1811 überwiegt Dramatik vor lieblicher Anmut. Erstmals ist hier eine romantische Ruine inszeniert: In luftiger Höhe platziert, tragen die Reste der Ehrenfels eine Stimmung von Erhabenheit ins Bild.
Rheinromantische Druckgraphik
Der englische Künstler John Gardnor wandte sich als erster von einer traditionell sachlichen Darstellung in topographischer Manier ab. Er verkleinerte Rhein-Bildausschnitte und ließ Empfindungen Raum. Eine eigentlich romantische Auffassung führte der Flörsheimer Christian Georg Schütz (der Vetter) in die Kunst ein. Als die erste Romantiker-Generation den wilden und rauen Rhein mit seinen Burgentrümmern als schön deklarierte, stellte er die Burg Ehrenfels erhaben in ein Binger Panorama. Stimmungslandschaften folgten diesem Einschnitt. Schon vorher hatte der Dichter Novalis erklärt, jede Landschaft sei ein „idealischer Körper für eine besondere Art des Geistes“. Die folgende Entwicklung der Druckgraphik war geprägt von technischem Fortschritt, dem Steindruck und dem in England perfektionierten Stahlstich. Sie passte sich der Nachfrage einer steigenden Zahl von Touristen an und reflektierte politische Umbrüche. Zu den Höhepunkten zählen neben vielen hier ungenannten Johann Isaak von Gernings „A Picturesque Tour along the Rhine from Mentz to Cologne“ (1820) nach Vorlagen von Schütz und die Rheinansichten Johann Adolph Lasinskys (1829). Außerdem William Tomblesons „Views of the Rhine“ (1832), die Rheinpanorama-Karten des Verlegers Friedrich Wilhelm Delkeskamp und Caspar Scheurens großformatige Bilderreisen.