Nach seiner Schulung bei Johann Friedrich Overbeck in Rom und der Übersiedlung nach Frankfurt wandte sich Edward von Steinle immer stärker auch Bildgegenständen außerhalb der strengen Kirchenmalerei zu.
Durch die 1837 geknüpfte persönliche Bekanntschaft mit dem Dichter Clemens Brentano nahmen poetische Gegenstände und Illustrationen zu dessen Dichtungen zunehmend Raum ein.
Gemeinsame Projekte wie die „Legende von der Heiligen Marina“ dienten auch der Begründung einer dezidiert religiösen Kunstkonzeption im Geiste der katholischen Romantik.
1853 erhielt der Künstler von Karl von Guaita, einem Neffen des inzwischen verstorbenen Dichters, den Auftrag, ein Zimmer seines Frankfurter Hauses, Neue Mainzer Straße 30, mit sechs in die Wand eingelassenen Bildern nach Dichtungen Brentanos zu schmücken.
Das Haus wurde später abgerissen, doch haben sich die als farbige Kartons ausgeführten Bilder des „Clemens-Zimmers“ und manche Vorentwürfe erhalten.
Zu den dargestellten Dichtungen gehörten neben den „Romanzen vom Rosenkranz“ drei Bilder zu den „Märchen vom Rhein und dem Müller Radlauf“ und je eine Darstellung zu „Die mehreren Wehmüller“ und zur „Chronika eines fahrenden Schülers“.
Der hier gezeigte Karton zu dem unvollendeten Gedichtzyklus ist ein Musterbeispiel für Steinles Zeichenkunst und die spätromantische Wechselwirkung von Malerei und Poesie.
Der poetische Status von Steinles Bildkunst verdeutlicht sich in der Konzeption des Werkes: Die Zeichnung zu den „Romanzen“ illustriert nicht eine Episode, sondern verknüpft vier Szenen und gibt so eine Synthese des Geistes der Dichtung Brentanos.
Referenzen:
"Romanzen vom Rosenkranz"
Ein Ave Maria ertönt zu Harfenklängen, die Madonnenstatue vor dem Fenster ist von einem frisch gewundenen Rosenkranz gekrönt.
Das idyllische Detail aus einem Aquarell Edward Jakob von Steinles gibt Momente aus einer komplizierten epischen Dichtung Clemens Brentanos wieder: den „Romanzen vom Rosenkranz“.
Doch wird es unbedarfte Betrachter überraschen, dass nicht liebliche Harmonie, sondern sündiger Inzest den Kern des Versepos bildet. Er ist der Ur-Fluch, der alle Hauptpersonen belastet.
Ohne zu wissen, dass sie Geschwister sind, müssen drei Liebespaare eine versteckte Schuld und die Gefahr weiteren Inzests mit Keuschheit überwinden. Die Vorgeschichte dazu erzählte Brentano in dem Zyklus merkwürdigerweise nicht.
Angesiedelt im mittelalterlichen Bologna kombinierte der Dichter Historisches, Märchenhaftes und Erotisches mit ernsten theologischen Gedanken zur Lösung einer „unendlichen Erbschuld“ durch die Erfindung des Rosenkranzes.
Eine düster-sinnliche Gesamtstimmung trägt die Romanzen, für die Brentano eine wohllautende Lyrik mit Vokal-Reimen und Gleichklängen einsetzte, die er einer spanischen Strophenform nachbildete.
Liebe und Leidenschaft, Schuld und Sühne wachsen ins Mythische hinein und meinen die ganze Menschheitsgeschichte.
Trotz der verworrenen Handlung und des hermetischen Beziehungsgeflechts gilt der unvollendete Gedichtzyklus als Meisterwerk der deutschen Romantik.
Er bildet Personen aus Brentanos Umkreis ab und seine katholische Frömmigkeit: „Während ich so lebte, entstand in mir unbewußt die Begierde ein Gedicht zu erfinden wie ich gern eines lesen möchte ...“.
So schrieb er dem Maler Philipp Otto Runge, den er um Randzeichnungen bat. Von den Romanzen habe er empfunden, „daß sie von mir waren“.
Runge starb jedoch 1810 über den sich anbahnenden Auftrag. In seinem späten Freund Steinle fand Brentano Ersatz für sein religiöses Kunstverständnis.
Bild-Erläuterung
Steinles Bild führt verschiedene Stränge von Brentanos Dichtung zusammen:
Der Jüngling Meliore sitzt, in edler Melancholie niedergesunken, unterhalb einer Linde und am Fuße eines Marienbildes auf dem Platz vor dem Fenster der angebeteten Biondetta, deren Gesang und Harfenspiel ihn bezaubern.
Der Platz mit der Mariensäule und dem Brunnen ist ein Ort der Ruhe sowie des Friedens und kehrt in der Dichtung mehrfach wieder.
Im Vordergrund steht Rosablanka vor dem Brunnen. Sie war mit einem Korb voll Wachs und Rosen gekommen und Meliore hatte aus Rosen einen Kranz für die Muttergottes gewunden.
Rosablanka liebt Meliore, erkennt aber, dass ihre Liebe unerwidert bleiben wird. Nun bricht sie auf, um wieder zurück zum Kloster zu gehen, da sich von rechts hinten der Gelehrte, Arzt und Zauberer Apo mit seinen Schülern nähert.
Dieser begehrt ebenfalls Biondetta und wird zum ärgsten Rivalen Meliores. Biondetta, durch Liebesgift verführt und leidenschaftlich für Meliore entflammt, wird später Selbstmord begehen, um nicht Apo in die Hände zu fallen.
Rechts vorne schläft der Knabe mit dem sprechenden Namen Agnuscastus, gleichlautend mit dem als „Mönchspfeffer“ bezeichneten, den Geschlechtstrieb mildernden Heilkraut.
Agnuscastus weiß um die Verwandtschaft der Liebenden – Rosablanka, Biondetta und Meliore – und versucht, den verderblichen Inzest zu verhindern.